Viel Zeit mitbringen: Auswandererhaus Bremerhaven
Seit Jahren möchte es besuchen: das Auswandererhaus Bremerhaven. Immer wieder wurde es für die Inszenierung der Ausstellung gelobt und das Thema Migration ist eines, das mich sehr interessiert. Nun ließ es sich endlich einrichten, dass ich auch einmal selbst dort war und es war wirklich sehr beeindruckend. Das Museum arbeitet mit einer Totalinszenierung, die im Eingangsbereich beginnt und sich bis zum Ende durchzieht, durch das Aufbauen ganzer Räumlichkeiten, die einen Eindruck vermitteln sollen. Das ist aber nur ein Teil, ein weiterer ist die Begleitung einer historischen Person, von den ersten bekannten Gegebenheiten bis hin zum Leben in einer neuen Heimat. Auch wird an „Critical Thinking Stationen“ immer wieder nach der eigenen Meinung gefragt – dabei geht es um vielfältige Fragen rund um das Thema Migration.
Sehr viel Zeit mitbringen!
Grob ist das Museum in zwei Bereiche unterteilt, es gibt die Zeit der Auswanderungen aus Deutschland und das Thema Migration nach Deutschland, insbesondere nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Form der Präsentation verändert sich im zweiten Teil auch, so dass es auch auf den ersten Blick sichtbar scheint. Insgesamt habe ich sehr viel Zeit dort verbracht, weil es einfach so unheimlich viel zu sehen, lesen, hören, mitmachen gab, dass man am Ende trotzdem sicher das eine oder andere übersehen hat. Problematisch finde ich immer noch, dass der Eintritt mit 20 Euro ziemlich hoch ist, auch wenn es eben ein wirklich großes Museum ist.
Der Start
Der Kassenbereich, die Schließfächer und der Start des Rundgangs sollen Assoziationen mit der Zeit Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts wecken, was auch sehr gut klappt, ich denke, so stellen sich die meisten Leute eine Abfahrtshalle in der Zeit vor. An der Kasse erhält man eine Chipkarte, mit der Medienstationen bedient werden können und Infos über eine Person, die irgendwann mal von (Nord-)Europa aufgebrochen ist, um auszuwandern. In meinem Fall in die USA. Der tatsächliche Beginn ist in einem Warteraum, wo man mit völlig fremden Menschen sitzt und wartet, dass sich die Tür öffnet, wieder ein Element der Totalinszenierung. Es geht weiter mit einem Bootsanlegeplatz, wo Menschen sich verabschieden. Im anschließenden Bereich lernt man erstmals die historische Person kennen, wo wurde sie geboren, was weiß man heute noch über sie? Der Raum selbst wirkt wieder wie eine Art Aufbewahrungsort aus dem letzten Jahrhundert mit hölzernen Schubladen. Hinter jeder verbirgt sich ein Name, hier wurden wirklich unzählige Menschen recherchiert, die einmal ausgewandert sind. Einige wenige werden eben zu diesen Persönlichkeiten, die man begleiten kann.
Im Inneren des Schiffes
Von dort betritt man den Nachbau eines Schiffsinneren und erfährt mehr über die Reisebedingungen in den verschiedenen Jahrzehnten, insbesondere des 19. Jahrhunderts. An Hörstationen gibt es immer wieder überlieferte Zeitzeug*innen-Berichte. Schließlich gelangt man zum Thema „Ankunft“, welche Fragen wurden bei der Einreise in die USA gestellt, vor welchen Herausforderungen stand man? Man kann selbst einige der früher gestellten Fragen beantworten, um zu sehen, ob man hätte einreisen dürfen. Im Im Anschluss daran erfährt man, wie es im Leben des Menschen weitergeht, den man bisher begleitet hat. Wie sah das weitere Leben aus? Was wissen wir noch? Welche Objekte hat die Familie vielleicht dem Museum überlassen? Der Nachbau des „Grand Central Terminal“ in New York als wichtiger Ort von Ankunft und Aufbruch. Einige der Figuren, die hier als Teil der Totalinszenierung gezeigt werden, zeigen durch ihren Kleidungsstil, dass eine relativ lange Spanne von Gehen und Ankommen dargestellt wird. Der Schwerpunkt liegt aber auch hier auf dem Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
Flucht, Vertreibung, Deportation, Zwangsumsiedlung und Ermordung während des Nationalsozialismus werden kurz angesprochen, sind aber sichtbar nicht der Schwerpunkt der Ausstellung. Sie beschäftigt sich im zweiten großen Abschnitt mit Migration nach Deutschland, insbesondere der Bundesrepublik. Auch hier werden Besucher*innen aktiv eingebunden, indem sie zunächst ein Schwerpunktthema wählen, zu dem sie dann in unterschiedlichen „Räumen“ weitere Informationen finden, oft auch in Form von Bewegtbild. Es geht um die Zeit der so genannten „Gastarbeiter*innen“, Geflüchtete, Aussiedler*innen und ihre Ankunft. Aber auch die Reaktionen der Mehrheitsgesellschaft, in den Medien, im Alltag aber auch in der Wissenschaft. Es werden in unterschiedlich großen Vitrinen einzelne Objekte gezeigt, über die man an Medienstationen mehr erfahren kann, auch hier gibt es oft Zeitzeug*innen-Berichte. Die Kinofilme musste ich aus Zeitgründen überspringen.
Auswertungen
Ich hatte es schon kurz erwähnt, uns begegnen in der Ausstellung immer wieder „Critial Thinking Stationen“, wo nach der persönlichen Meinung zu Fragen oder Aussagen gefragt wird. Wie steht man zu bestimmten Themen? Am Ende der Ausstellung gibt es auf einer riesigen Leinwand eine Auswertung, wie viele Besucher*innen haben was geantwortet? Statistische Auswertungen zeigen, womit sich die Leute auseinandersetzen, woher sie ihre Informationen nehmen und welche Haltung sie einnehmen. Auch nochmal irre spannend. Am Ende war ich platt, aber beeindruckt.
Die Totalinszenierung ist sowohl spektakulär als auch kritisch, denn sie vermittelt schnell einen Eindruck von, genau so war es. Dadurch, dass man direkt darin steht, fällt es schwer, Distanz zu wahren und sich zu vergegenwärtigen, woher wir wissen, was wir wissen. Wo stoßen Quellen an Grenzen und wo gibt es Lücken? All das kann (und soll vermutlich) in so einer Form der Darstellung nicht entsprechend berücksichtigt werden. Gleichzeitig holt es die Menschen auf einer sehr emotionalen Ebene ab und man nimmt vielleicht mehr mit nach Hause.